Maxim Biller

3 Fragen an… Maxim Biller im Gespräch mit Bettina Walther über sein neues Theaterstück KIEN

 3  Fragen an… Maxim Biller im Gespräch mit Bettina Walther über sein neues Theaterstück KIEN

Maxim Biller macht mit seinem neuen Stück KIEN ein Stück Geschichte der noch jungen Bundesrepublik erfahrbar. Bettina Walther sprach mit dem Romancier und Dramatiker über den Prager deutschen Juden Ulrich Kien und dessen Erfahrungen als Schriftsteller im noch immer nazifizierten Nachkriegsdeutschland der 1960-er Jahre. 

 

KIEN spielt 1964 in einem Studio des NDR: Der Journalist Friedrich K. Friedrich hat den Schriftsteller Ulrich Kien zum Interview in seine Sendung „Achtung Kultur“ eingeladen. Eigentlich soll sich das Gespräch um Kiens aktuelles Theaterstück drehen und um sein Leben als gefeierter Schriftsteller. Aber dann wird klar: das hier ist keineswegs nur ein kultiviertes Gespräch unter zwei Intellektuellen. Denn Kien und Friedrich sind alte Bekannte, deren Lebenswege sich schon früher gekreuzt haben. Und nicht nur das, der eine musste vor den Nazis ins Exil fliehen, während der andere seine Karriere den Nazis zu verdanken hat. Rund 20 Jahre später sitzen sie sich nun in diesem Fernsehstudio an der Rothenbaumchaussee wieder gegenüber: Täter und Opfer mit einer gemeinsamen Vergangenheit, aber völlig unterschiedlichen Erinnerungen an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte und an die unvergessene Paula Paulson, eine Schauspielerin, die beide einst kannten. 

Und so nimmt eine Auseinandersetzung ihren Lauf, die sich zu einem hochspannenden Duell und einem erbitterten Kampf um Leben und Tod entwickelt. 

 

Wie sind Sie auf die Idee zu KIEN gekommen? 

Das Stück spielt in einer vermeintlich fernen Zeit: 1964, nur 19 Jahre nach dem Krieg. Warum? Es hat mich interessiert, wie damals die Menschen, die im Dritten Reich Opfer, Täter, Kompromissler, Halbherzige waren, es so kurz danach wieder miteinander ausgehalten haben. Warum haben sie sich nicht pausenlos angeschrien und auf der Straße gegenseitig abgestochen? Kien, der Emigrant, sitzt in Hamburg in einem Fernsehstudio und lässt sich von Friedrich K. Friedrich interviewen, der als junger Mann Drehbücher für die Nazis geschrieben hat. Woher kommt diese gegenseitige Höflichkeit der beiden, wenigstens am Anfang? Spannender, unheimlicher kann ein Stück nicht beginnen.

 

Warum setzt sich Kien diesem Interview aus? 

Er muss Geld verdienen. Er muss seine Stücke und Romane verkaufen. Er kann nur auf Deutsch wirklich gut schreiben. Und natürlich ist er auch eitel. Viele andere Emigranten hätten sich nicht nach dem Krieg in ein deutsches Fernsehstudio gesetzt. Aber die waren vielleicht auch nicht so begabt und beharrlich wie Kien.

 

Seine Beharrlichkeit und die Höflichkeit werden Kien dann aber fast zum Verhängnis. Unterschätzt er die Brutalität, die Menschen wie Friedrich auch fast 20 Jahre nach dem Krieg noch in sich tragen? Er müsste es ja besser wissen...

Der Prager deutsche Jude Ulrich Kien weiß genau, mit wem er es zu tun hat. Aber, wie gesagt, er will sich seine Sprache und seine Kultur zurückholen, und das geht nur mit denen, die sie ihm einmal wegnehmen wollten. Seit Heine saßen Leute wie er immer wieder in dieser Falle: Wie kann man für eine Gesellschaft, eine Nation schreiben, die einen ständig loswerden will? Ich nehme mich da nicht aus. Ein deutscher Schriftsteller zu sein, ist für mich als Jude in Wahrheit ein vollkommen paradoxer, deprimierender und lächerlicher Zustand.


zurück zum Journal