Euripides, Roland Schimmelpfennig

Prolog/Dionysos
1. Teil des Antiken-Zyklus "Anthropolis"
Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Hamburg
1 D, 6 H, Chor der Mänaden
UA: 15.09.2023 · Deutsches Schauspielhaus Hamburg · Regie: Karin Beier
Prolog
Die Geschichte der Stadt Theben beginnt mit einem zweifachen Mord. Nachdem Kadmos vergeblich seine von Zeus entführte Schwester Europa auf dem Kontinent gesucht hat, wendet er sich an das Orakel von Delphi. „Vergiss die Schwester“, lautet die Antwort, „treibe eine Kuh vor dir her und dort, wo sie sich niederlässt, gründe eine Stadt.“ Kadmos hetzt die Kuh so lange vor sich her, bis sie tot zusammenbricht in der Nähe einer Quelle, die wiederum von einem Drachen bewacht wird. Den erschlägt Kadmos, bricht ihm die Zähne aus und sät sie in die Erde. Sofort wachsen aus den Zähnen bewaffnete Drachenmänner, Krieger, die sich gegenseitig niedermetzeln – nur fünf überleben das Massaker. Mit ihnen gründet Kadmos die Stadt Kadmeia, später das siebentorige Theben genannt. Von Anfang an ist die Gewalt der Zivilisationsgeschichte eingeschrieben. Schon die ersten zivilisatorischen Maßnahmen zur Gründung dieser Urstadt der westlichen Welt zeigen sich als Tötungsdelikte. Die Vernichtung des Tieres und des Tierwesens ist quasi die Voraussetzung, um überhaupt als Gesellschaft im urbanen Raum existieren zu können. Wie aber lassen sich die Gewaltakte stoppen, die die Grundfeste der Menschenstadt von Generation zu Generation aufs Neue erschüttern?

Dionysos
Die Geschichte von der Geburt des Dionysos aus dem Schenkel des Zeus klingt mehr als bizarr. Kein Wunder, dass sie niemand glauben will in Theben, nachdem Dionysos’ irdische Mutter Semele, eine Tochter des Kadmos, so schändlich verbrennen musste. Angeblich hat der Erzeuger Zeus den Fötus aus dem Feuer geholt und in seinem Bein ausgetragen. Inzwischen ist Theben zu einer reichen Stadt angewachsen, und Kadmos hat den Thron an seinen Enkel Pentheus abgetreten. Da taucht Dionysos auf und behauptet, ihm stünde religiöser Kultstatus zu. Doch der auf Maß und Regeln getrimmte Pentheus verweigert ihm den Glauben. Dionysos stürzt daraufhin das Ordnungssystem des Patriarchen in eine tiefe politische und moralische Krise. Er schickt die Frauen auf einen Trip und verbreitet unter ihnen Wahnsinn und Raserei. Der Rausch endet grausam und blutig. Dionysos triumphiert über die Ungläubigen der Stadt. Er scheint eine kollektive Lust am gewaltsamen Untergang freigelegt zu haben, die dem Konstrukt „Stadt“ in seinen verdrängten Positionen innewohnt.

Mit den Bakchen hat Euripides seine letzte und radikalste Tragödie geschrieben. Die Übertragung und Bearbeitung der Bakchen unter dem neuen Titel Dionysos verschärft die Konflikte zwischen Untergangsphantasien und Vernunftdenken, Ordnungswahn und Lust am Chaos zu heutigen Fragestellungen einer Stadtgesellschaft. Wieviel Spannungszustände sind wir noch bereit auszuhalten? (Ankündigung Schauspielhaus Hamburg)

Journal

Roland Schimmelpfennig

Das größenwahnsinnigste Theaterereignis der laufenden Saison ♦ »Anthropolis - Ungeheuer. Stadt. Theben.« von Roland Schimmelpfennig am Deutschen Schauspielhaus Hamburg

05.10.2023
Zur Zeit liegt Theben in Hamburg und dorthin reist der Theaterverlag in diesem Herbst alle zwei Wochen, um das ambitionierteste und vielleicht sogar größenwahnsinnigste Theaterereignis der laufenden Saison zu bestaunen: »Anthropolis - Ungeheuer. Stadt. Theben.«, bei dem gleich fünf Stücke unseres Autors Roland Schimmelpfennig uraufgeführt werden. Bettina Walther berichtet ... mehr

Roland Schimmelpfennig

»Diese Geschichten sind da, um uns, in uns. Und sie sind hochtoxisch« ♦ das Deutsche Schauspielhaus Hamburg eröffnet die Spielzeit mit Roland Schimmelpfennigs mehrteiligem Antikenzyklus ANTHROPOLIS

16.09.2023
Auf einen großen Anfang! Wir feiern unseren Autor Roland Schimmelpfennig und PROLOG/DIONYSOS, den 1. Teil seines Antikenyklus ANTHROPOLIS, mit dem gestern die Spielzeit am Deutschen Schauspielhaus Hamburg eröffnet wurde. Der ... mehr

Kritiken

Prolog/Dionysos

Nachtkritik

[D]ie Pilotfolge von ‘Anthropolis’ macht Lust weiterzuschauen. Weil die Figuren interessant sind, weil Beier sich traut, gegen den Strich zu inszenieren, weil es einiges an Schauwerten gibt.

NDR

Was [...] diesem starken Auftakt der fünfteiligen Antiken-Serie gelingt: Er zeigt, dass die Antike immer noch lebendig ist. Diese Geschichten sind da, um uns, in uns. Und sie sind hochtoxisch. Fortsetzung folgt!