Theater

Katja Brunner

DEN SCHLÄCHTERN IST KALT oder OHLALAHELVETIA

Eine Hühnerrupferin, ein Huhn, eine Feder und der Schaft der Feder laufen über den Dorfplatz und tragen dabei schwere Dinge, von der Bahre bis zum Sarg.
Dieses Bild ist ein wiederkehrendes Motiv in Katja Brunners Text. Der assoziative Textkörper bearbeitet ein in der neutralen Schweiz totgeschwiegenes und über Jahre ignoriertes Thema: den Holocaust. Um die 1.000 Menschen aus der Schweiz wurden im 2. Weltkrieg umgebracht. Sie wurden deportiert aus diesem wunderschön im Biedermeier-Stil eingerichteten, sterilen, verstaubten Stillleben, das darüber Stillschweigen bewahrt.

Mit eindrücklichen Bildern und präziser Poesie wagt Katja Brunner sich heran, an das, was zuvor unter Verschluss blieb. Die vorhandenen Akten verstauben in Archiven. Es gibt keine gemeinsame Erinnerung, kein Gedenken an die Opfer. Katja Brunner schafft eine eigene Form, sich der Thematik zu nähern. Diese indirekte Auseinandersetzung geht dabei tiefer, ist fordernder, anklagender und schmerzlicher als die reinen Fakten aufzeigen und berührt daher so sehr.

frei zu besetzen

UA: 10.12.2017 · Schauspielhaus Zürich · Regie: Barbara Falter

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Katja Brunner

geister sind auch nur menschen

Die Heime, der ihrer Heimat beraubten Alten, Kranken und Unberührten sind Schauplatz im neuen Text von Katja Brunner. Es ist, so die Autorin im Vorwort, ein SPRECHEN OHNE ZUKUNFT und daher "freier als manch anderes Sprechen". Dieses Sprechen nimmt nicht Platz vor der Bettkante, sondern wühlt sich hinein in die mit Exkrementen und Wundschorf, Schläuchen und Kathetern verzierten Bettstätten der zum Liegen Verdammten. Abgeschirmt von einer Welt, der sie sich tatkräftig hingaben, betrachten sie verwundert die Scherben ihres gutbürgerlichen Lebens: Erlebtes steht neben unwiederbringlich Verpasstem, Träume mutieren zu Albträumen. Der durch einen Schlaganfall versehrte Körper wird von seiner Bewohnerin als vergessener Handschuh empfunden, einem anderen wird wegen sexueller Übergriffigkeit am weiblichen Pflegepersonal der Rauswurf angedroht. Von Berührungen durch Pflegerhand zugefügte Hämatome werden im allseitigen Einvernehmen als "Zeichen der Zuneigung" befunden. Kein Blatt mehr nehmen die Alten vor die ausgetrockneten Münder. Schwall um Schwall bricht es ungehört aus ihnen heraus. Am Ende gewinnt der Krebs die Oberhand. Gebannt lauschen sie dem inwendigen Wachsen des Tumors, bis ihre Kiefer runterklappen.

geister sind auch nur menschen ist ein Text für und von den Todgeweihten, die rundumversorgt im Heim ihre auf kapitalistische Betriebsamkeit getrimmten Nachkommen nicht behindern sollen; es ist ein pralles Drama, das die Sterbenden in die Mitte einer Gesellschaft, die sie professionell ausgrenzt, zurückholt.

Digitales Textbuch