Theater

Katja Brunner

von den beinen zu kurz

Da ist eine Familie: ein Vater, eine Mutter, ein Kind. Namenlos. Bürgerlich. Austauschbar. Alles könnte gut sein und werden, doch etwas läuft schief, heillos schief, denn der Vater verfällt der Tochter vom Tage ihrer Geburt an. Für die Tochter ist die „grenzenlose“ Liebe des Vaters vom ersten Atemzug an Teil ihrer Wirklichkeit, sein maßloses Begehren Normalität. Die ausrangierte Mutter stempelt die Tochter alsbald zur Konkurrentin, Diebin ihres Mannes ab. Stimmen von außen vergegenwärtigen mögliche Stationen - Geburt, erster Übergriff, Streichelzoo, Kindergeburtstag, Arztbesuch, Selbstmord - dieser Tragödie. Kontrovers besprechen sie die schnellen Wechsel im Verhalten, die Gefühlsregungen, das Macht und Ohnmachtsgebaren der beteiligten Personen. Das Einbrechen surrealer Situationen von extremer physischer und psychischer Gewalt weist jedoch weit nach draußen in die Gesellschaft. Ist das Kind nicht gezwungen, sich dem Willen der Eltern zu beugen, will es wertvoll für sie bleiben? Entgegen dem therapeutischen Gerede, das später auf sie einprasselt, verteidigt die Tochter ihr verhängnisvolles Verhältnis zum Vater. In diesem beeindruckenden Debüt Katja Brunners wird die Sprache zu einem Seziermesser, das die VaterMutterKindWelt zerschneidet und die schwindelerregenden Abgründe menschlicher Leidenschaft aufdeckt.

UA: 31.03.2012 · Theater an der Winkelwiese, Zürich · Regie: Antje Thoms

Übersetzt in English, French, Latvian, Polish, Russian, Spanish

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Katja Brunner

geister sind auch nur menschen

Die Heime, der ihrer Heimat beraubten Alten, Kranken und Unberührten sind Schauplatz im neuen Text von Katja Brunner. Es ist, so die Autorin im Vorwort, ein SPRECHEN OHNE ZUKUNFT und daher "freier als manch anderes Sprechen". Dieses Sprechen nimmt nicht Platz vor der Bettkante, sondern wühlt sich hinein in die mit Exkrementen und Wundschorf, Schläuchen und Kathetern verzierten Bettstätten der zum Liegen Verdammten. Abgeschirmt von einer Welt, der sie sich tatkräftig hingaben, betrachten sie verwundert die Scherben ihres gutbürgerlichen Lebens: Erlebtes steht neben unwiederbringlich Verpasstem, Träume mutieren zu Albträumen. Der durch einen Schlaganfall versehrte Körper wird von seiner Bewohnerin als vergessener Handschuh empfunden, einem anderen wird wegen sexueller Übergriffigkeit am weiblichen Pflegepersonal der Rauswurf angedroht. Von Berührungen durch Pflegerhand zugefügte Hämatome werden im allseitigen Einvernehmen als "Zeichen der Zuneigung" befunden. Kein Blatt mehr nehmen die Alten vor die ausgetrockneten Münder. Schwall um Schwall bricht es ungehört aus ihnen heraus. Am Ende gewinnt der Krebs die Oberhand. Gebannt lauschen sie dem inwendigen Wachsen des Tumors, bis ihre Kiefer runterklappen.

geister sind auch nur menschen ist ein Text für und von den Todgeweihten, die rundumversorgt im Heim ihre auf kapitalistische Betriebsamkeit getrimmten Nachkommen nicht behindern sollen; es ist ein pralles Drama, das die Sterbenden in die Mitte einer Gesellschaft, die sie professionell ausgrenzt, zurückholt.

Digitales Textbuch