Theater

Katja Brunner

man bleibt, wo man hingehört, und wer nicht bleiben kann, gehört halt nirgends hin

1782 wurde Anna Göldi als letzte Schweizerin wegen Hexerei verbrannt. Aus dem Flammenmeer droht sie den Schaulustigen mit ihrer Wiederkehr. Gleich darauf läuft sie über asphaltierte Straßen und Plätze, legt sich irgendwann auf den Boden, drückt ihr Ohr gegen die Erde, um „den ältesten Igel Europas“ zu belauschen. Stachelig, satt und rund verdaddeln er und seinesgleichen ihre Zeit im hermetisch abgeriegelten Bau bei einem perfiden Heimat-ABC. Ihr Ordnungssinn macht selbst vor Huren nicht Halt. Frauen, pro Stockwerk nach ihrer Herkunft sortiert, harren ihrer Kundschaft. Das Heidi selbst lässt sich bereitwillig die Öffnungen ihres kindlichen Körpers mit Butterblumen aus des Almöhis Hand verschließen. So weit, so idyllisch. Doch irgendwann ist Schluss. Lauthals kündigt das adoleszente Alpenkind seinen Job als blütenweiße Identifikationsfigur, doch die Protestaktion verleppert. Eine „verwilderte Autorin“ ertränkt ihre Ohnmacht in Whiskey Sour.
Katja Brunners Text ist ein assoziatives Mosaik wohlfeiler Selbstzuschreibungen und euphemistischer „Das Boot ist voll“-Attitüden. Das uralte Recht auf Asyl war und ist keinen Pfifferling wert. Von Natur aus ist sich hier niemand gleich.

frei zu besetzen

UA: 24.11.2016 · Theater Luzern · Regie: Christina Rast

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Katja Brunner

geister sind auch nur menschen

Die Heime, der ihrer Heimat beraubten Alten, Kranken und Unberührten sind Schauplatz im neuen Text von Katja Brunner. Es ist, so die Autorin im Vorwort, ein SPRECHEN OHNE ZUKUNFT und daher "freier als manch anderes Sprechen". Dieses Sprechen nimmt nicht Platz vor der Bettkante, sondern wühlt sich hinein in die mit Exkrementen und Wundschorf, Schläuchen und Kathetern verzierten Bettstätten der zum Liegen Verdammten. Abgeschirmt von einer Welt, der sie sich tatkräftig hingaben, betrachten sie verwundert die Scherben ihres gutbürgerlichen Lebens: Erlebtes steht neben unwiederbringlich Verpasstem, Träume mutieren zu Albträumen. Der durch einen Schlaganfall versehrte Körper wird von seiner Bewohnerin als vergessener Handschuh empfunden, einem anderen wird wegen sexueller Übergriffigkeit am weiblichen Pflegepersonal der Rauswurf angedroht. Von Berührungen durch Pflegerhand zugefügte Hämatome werden im allseitigen Einvernehmen als "Zeichen der Zuneigung" befunden. Kein Blatt mehr nehmen die Alten vor die ausgetrockneten Münder. Schwall um Schwall bricht es ungehört aus ihnen heraus. Am Ende gewinnt der Krebs die Oberhand. Gebannt lauschen sie dem inwendigen Wachsen des Tumors, bis ihre Kiefer runterklappen.

geister sind auch nur menschen ist ein Text für und von den Todgeweihten, die rundumversorgt im Heim ihre auf kapitalistische Betriebsamkeit getrimmten Nachkommen nicht behindern sollen; es ist ein pralles Drama, das die Sterbenden in die Mitte einer Gesellschaft, die sie professionell ausgrenzt, zurückholt.

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